R e s t o r f f
aus: Wappensagen
von George Hesekiel
Es ist vor grauen Zeiten Manch Wunderwerk geschehn, Um das verklung'ne Sagen Und stumme Schatten wehn; Viel große Heldentaten Deckt des Vergessens Nacht, Die kaum ein Wappenzeichen Noch bis auf uns gebracht. Viel Namen sind verklungen, Die einst gar stolz geprahlt, Viel Sterne sind erloschen, Die einst gar hell gestrahlt; Von eingesunknen Gräbern Schlich längst die Dankbarkeit, Doch leiht das Lied den Taten Neu die Unsterblichkeit. Drum forschet nicht, ihr Enkel: Wie hieß der hohe Ahn'? Unsterblich lebt im Liede, Was er dereinst getan.
Es herrscht' in alten Tagen Ein Fürst am Deutschen Meer, Von weit und breit die Helden Sie zogen zu ihm her; Denn in des Fürsten Halle Da saß ein holdes Kind, Um das der Helden Blüte Mit treuem Dienste minnt. Doch hat der Kämpen keiner, Der Schwert und Tartsche führt, Das Herz des schönen Kindes Durch Minnedienst gerührt; Denn einer nach dem andern Zog unerhört hinaus, Und einsam blieb die Jungfrau Im hohen Fürstenhaus. Sie liebte heiß und innig Den jungen, schönen Knecht, Sie folgt dem Zug des Herzens Mehr als dem Fürstenrecht.
Dem jungen Knaben leuchtet Ihr holdes Augenpaar, So wie die Sterne leuchten Am Himmel blau und klar. Der Jüngling labt verstohlen Sich an dem äuß’ren Schein Und trägt im Herzen heimlich Die grimme Liebespein. -
Da war's im hohen Sommer, Schon wurde gelb die Saat, Da jammernd vor den Fürsten Die Schar der Ält'sten trat: "Errette, Herr, errette!" So klingt ihr Hilferuf, "Die gold'ne Saat vernichtet "Des Einhorns breiter Huf! "Der besten Söhne Viele "Schon sanken in ihr Blut, "Doch Keiner kann bestehen "Des Einhorns Kraft und Mut!" - Wohl sandte seine Jäger Der Fürst zur Jagd hinaus, In Wehr und Waffen zogen Sie zu dem blut'gen Strauß. Der besten Jäger viele Sie sanken in ihr Blut, Und keiner konnt' bestehen Des Untiers Kraft und Wut. Die Saat in gold'nen Breiten Zertrat sein grimmer Huf, Und lauter, immer lauter Erscholl der Jammerruf. Da sandte seine Ritter Der Fürst zum Kampf hinaus, Sie kehrten wie die Jäger Entsetzt zurück vom Strauß. Soll denn in Furcht und Bangen Das ganze Land vergeh’n? Und wagt das Untier keiner Im Kampfe zu besteh’n? Der Fürst, die grauen Räte, Die saßen ohne Rat, Bis daß die Jungfrau leuchtend In ihre Mitte trat: "Laßt die Trompeter blasen, "Und laßt verkünden laut, "Daß, wer das Einhorn tötet, "Mich küssen darf als Braut, "Daß ich dem Manne folge, "Von welchem Stand er sei!
"Durch dessen Hand die Lande "Von diesem Jammer frei!" So sprach die hohe Jungfrau Zum Rat im Fürstensaal, Doch auf dem Jüngling ruhte Der Augen Wunderstrahl.
Als nun im ganzen Lande Erscholl Trompetenklang, Und als zu aller Ohren Die neue Botschaft drang, Da wallt’ zu manchem Herzen Wohl sehnend heiß das Blut, Doch Keiner mocht' bestehen Des Einhorns Grimm und Wut. Groß waren Furcht und Schrecken, Und Mut und Hoffnung klein, Im ganzen Land nur Einer, Der setzt’ sein Leben ein. Das war der junge Knabe, Der still die Jungfrau minnt, Für den in heißer Liebe Entbrannt das Fürstenkind. Er zog hinaus zum Walde, Die Jungfrau schaut’ ihm nach, Er hatte wohl verstanden, Was still ihr Auge sprach. Er zog voll Mut von dannen, Und grüßt' im Scheiden sie: "Als Sieger kehr' ich wieder, "Als Sieger - oder nie!"
Die Sonne war gesunken, Die Schatten wurden lang. Da ward der holden Jungfrau Im Herzen trüb und bang. Still stund der Mond am Himmel, Leis' kam die laue Nacht, In Schmerz und heißen Tränen Die Fürstentochter wacht. Doch als beim ersten Grauen Der helle Lerchenschlag Aus Morgentau verkündet Die Sonne und den Tag – Da war's ein Jubelrufen, Das rings zum Himmel scholl, Und das in tausend Stimmen Wie Meeresbrandung schwoll. "Das Einhorn liegt erschlagen, "Der Jüngling hat's getan, "Er hat das Land errettet!" – So scholl es himmelan.
Die Jungfrau schmückt sich prächtig Mit silbernem Gewand, Das Myrthenkränzlein sittig Trägt sie in weißer Hand, Von ihrem Haupte leuchtet Die Krone golden k1ar, Und auf die runde Schulter Fällt dicht das Lockenhaar. So grüßet sie den Sieger . Und küßt ihn als Gemahl – Laut jubeln rings die Lande Im hellen Morgenstrahl! In R e s t o r f f s Schilde bäumet Sich noch das Einhorn wild, Und auf dem Wappenhelme Steht stolz der Jungfrau Bild, Das trägt eine Krone im wallenden Haar, Es schimmert die Krone So golden, so klar, Hell blinket in Silber Ihr bräutlich’ Gewand, Die Myrthe, die hält sie In leuchtender Hand, Sie kündet den Söhnen. Was vormals der Ahn' Zu Ehren der Liebe Im Kampfe getan! George Hesekiel Wappensagen Halle (1881), pp.280-286
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